Die Weisheit der Bhagavadgita

Sathya Sai Baba

Jetzt auch als E-Book erhältlich!

 

Die Weisheit der Bhagavadgita

 

Im August und September 1984 hielt Sathya Sai Baba in seinem Aschram Prasanthi Nilayam in Südindien vor Studenten 34 Ansprachen auf Telugu über die Bhagavadgita. In diesen Ansprachen konzentrierte er sich auf zwei Kapitel der Gita: das zwölfte Kapitel, das den Weg der Hingabe betont, und das zweite Kapitel, das den Weg der Weisheit und des Handelns aufzeigt. Jede Ansprache baut auf den Aussagen der anderen auf und ist doch ein in sich abgeschlossenes Ganzes.

Al Drucker hat diese Ansprachen zusammengestellt und bearbeitet. Der Leser kann bei einer beliebigen Ansprache beginnen und wird durch das Praktizieren der Lehren erleben, wie sich eine erhöhte spirituelle Wahrnehmung in seinem Leben bemerkbar macht.

 

5. überarbeitete Auflage 2014, 576 Seiten, kartoniert, Best.-Nr. 1072

ISBN 978-3-932957-77-2

 

Bhagavadgita bedeutet „der Gesang des Erhabenen“. Sie ist das Herzstück indischer Spiritualität. Diese heilige Schrift lehrt den Menschen, seine niederen Impulse zu überwinden und sich seines vollen Potenzials als Mensch bewusst zu werden – sich selbst als den unsterblichen Atman zu erkennen, als eins mit Gott. Krishna lehrte dieses Wissen seinen Schwager, den Kriegshelden Arjuna, vor 5.000 Jahren am Vorabend der großen Schlacht im Mahabharata-Krieg, bei dem sich die Kräfte des Guten und die Kräfte des Bösen gegenüberstanden. Dieser Krieg war symbolisch für den fortwährenden Kampf im Herzen des Menschen, das Richtige zu tun und dem Falschen zu widerstehen – eines Kampfes, der bis zum heutigen Tag unvermindert anhält. Von diesen Auseinandersetzungen erzählt die Gita. Ihre Lehren sind zeitlos und universal und gelten für Menschen aller Hintergründe und Zeiten gleichermaßen.

 

Leseprobe

 

Achte Ansprache

Allein durch Liebe könnt ihr Gott erreichen

Der Herr verkündete in der Gita:

„Wenn du immer in Liebe an mich denkst,

werde ich dich mit dem Geschenk

der spirituellen Unterscheidungskraft (buddhiyoga) segnen.

Sie wird dich zur immerwährenden Einheit mit mir führen.

Das verspreche ich dir.“

 

Verkörperungen der Liebe,

Buddhi ist das Unterscheidungsvermögen, kraft dessen ihr das Wirkliche vom Unwirklichen und das Beständige vom Unbeständigen unterscheiden könnt. Diese spirituelle Urteilsfähigkeit erschließt sich nur jenen, die heilige Hingabe entwickelt haben und mit Liebe zu Gott angefüllt sind. Hingabe ist die königliche Straße zum Erlangen der Weisheit und der einzige Weg zum höchsten spirituellen Wissen. Sie ist wahrlich der einzige Weg, der zur Selbsterkenntnis führt. Hingabe erweckt die Gnade Gottes. Der Herr verkündete im zwölften Kapitel der Gita: „Wer sich mir hingibt, ist mir lieb.“ 

Hingabe

Was aber ist Hingabe (bhakti)? Hingabe ist beständige, zum Herrn hinfließende Liebe. Wenn eure Liebe zu Einzelnen oder zu Vergänglichem, Weltlichem hinfließt, kann sie nicht Hingabe genannt werden. Das ist tatsächlich nur eine Form von Anhaftung. Doch wenn Liebe unaufhörlich zu Gott, dem einen unwandelbaren Prinzip hinter dieser Welt des Wandels, hinfließt, dann wird eure Liebe zur Hingabe.

Anfänglich entwickelt ihr eure Hingabe, indem ihr euch Gott zuwendet und euch ihm nähert. Dann verstärkt ihr eure Liebe zu Gott, indem ihr die Einstellung kultiviert, dass ihr Verehrer und Diener Gottes (daaso ‘ham) seid, und ihr gebt euch seinem Willen hin. So wie sich eure Liebe zu Gott vertieft, schreitet ihr zu der Stufe voran, auf der ihr eine intime Nähe zu Gott fühlt und ständig seine Gegenwart erfahrt. Ihr erreicht die Vollendung eurer spirituellen Reise, wenn ihr vollständig erkennt: „Ich bin Gott. Gott und ich sind eins.“

In der Praxis kann Hingabe zwei Formen annehmen. Zuerst ist da die Art von Hingabe, die sich auf unterschiedliche rituelle Praktiken und Andachtsformen wie die traditionelle Verehrung des Herrn mit rituellen Opfergaben, Pilgerschaften zu spirituellen Zentren, die Teilnahme an spirituellen Veranstaltungen, das Singen hingebungsvoller Lieder, das Studieren gottpreisender Literatur und so weiter bezieht. Dies sind die üblichen Formen von Hingabe (vaidhabhakti). In der Gita lehrte der Herr, dass diese verschiedenen Übungen als von niederer Art betrachtet werden. Wenn sich eure Anbetung jedoch zur vollkommenen Versunkenheit in Gott ausweitet, wenn eure Liebe zu Gott in all eure täglichen Aktivitäten eindringt und ihr einen tadellosen, heiligen Charakter entwickelt, dann bringt ihr die höhere Hingabe (parabhakti) zum Ausdruck, die dem Herrn gefällt.

Es besteht also ein deutlicher Unterschied zwischen dieser Hingabe, die dem Herrn besonders lieb ist (vaidhabhakti), und der gewöhnlicheren Art von Hingabe (parabhakti). Letztere nutzt die Dinge der Welt der Erscheinungen, um den Herrn anzubeten, zum Beispiel Blumen. Woher sind diese Dinge gekommen? Wart ihr imstande sie herzustellen? Nein. Sie alle wurden von Gott erschaffen. Wo bleibt die Entsagung, wenn die Dinge, die ihr opfert, vom Herrn selbst erschaffen wurden? Solche Opfergaben bringen euch nicht sehr weit auf dem spirituellen Weg. Gott hingegen die heiligen Blüten eures Herzens zu opfern, die nichts mit der Welt zu tun haben, und diese in liebender Anbetung des Einen, der seinen Platz in eurem Herzen hat, darzubringen, ist die höchste Form von Hingabe (parabhakti). Nach dieser Art von Hingabe solltet ihr trachten.

Meditation und Hingabe sind ein und dasselbe

Eine weitere Weise, an diese höchste Form der Hingabe zu denken, besteht in der unaufhörlichen Meditation über Gott allein. Das gängige Verständnis von Meditation beschränkt sich auf die Übung der Konzentration auf einen Gegenstand, um dadurch eine höhere Bewusstseinsebene zu erreichen. Das ist aber nicht der rechte Ansatz zum Verständnis von Meditation. Wahre Meditation (dhyaana) ist Meditation über Gott und Gott allein. Deshalb sind Meditation und Hingabe in Wirklichkeit dasselbe. Beiden ist die Konzentration auf den Herrn gemeinsam, das ausschließliche Ausrichten der Gedanken auf ihn und nichts anderes. Ohne solch eine Meditation oder Hingabe ist es unmöglich, die strahlende Herrlichkeit Gottes überall und in allem zu erkennen und dadurch wahres spirituelles Wissen zu erlangen.

Ihr sehnt euch nach den Früchten eurer Bemühungen, aber ihr könnt sie nicht erlangen ohne erst die Blüte zu haben. Erst kommt die Blüte, dann die Frucht. Hingabe ist wie die Blüte. Ohne zuerst die Blüte der unerschütterlichen Liebe zu Gott entwickelt und ihr das Erblühen erlaubt zu haben, könnt ihr die Frucht der spirituellen Weisheit nicht ernten. Diese Blume der Liebe kann sich auf verschiedene Weisen ausdrücken, wie folgendes Beispiel zeigt.

Der Haushälter und der Mönch

Es gab zwei Gottesverehrer, die eine alles einnehmende Liebe zu Gott hatten. Einer war ein Haushälter, der ein Familienleben führte, und der andere ein entsagender Mönch (samnyaasin). Der Familienvater – Nagamahashaya – empfand sich als Diener des Herrn und praktizierte stets das Prinzip der vollkommenen Hingabe an Gott. Der große Wert des Dienens ist, dass das Ego durch das Praktizieren von Demut und Ergebenheit schnell verschwindet. Solange ihr Egoismus habt, seid ihr nicht in der Lage, das heilige Wissen über das höchste Selbst zu erlangen.

Egoismus ist überall zu finden. Selbst Arjuna, dem Krishna so lange ein Freund gewesen war und so viel Ermutigung gab, war sein Leben lang von egoistischen Gefühlen durchsetzt. Erst nachdem Arjuna seinen Bogen weggeworfen hatte und sich vollkommen dem Herrn ergab, indem er sagte: „Befiehl mir, o Gott, ich werde tun, was auch immer du sagst“, lehrte ihn Krishna die höchste Weisheit der Gita.

Der Haushälter startete also vom ganz bescheidenen Beginn, der mit „Ich bin dein Diener (daaso ‘ham), o Herr, ich bin dein Instrument“ zusammenhängt. Auf diese Weise drückte er seine unerschütterliche Liebe zu Gott aus. Der Mönch – Vivekananda – andererseits, drückte seine Liebe zu Gott aus, indem er Gott überall, wohin er ging, und in jedem und allem, was ihm begegnete, suchte. Er wiederholte ständig: „Wohin ich auch sehe, ich sehe nur Gott. Alles, was ich sehe, ist von Gott erschaffen und von Gott durchtränkt. Jeder, den ich treffe, ist kein anderer als Gott. Auch ich bin wahrhaft Gott (shivo ‘ham).“

Wegen der verschiedenen Lebensumstände, traten die beiden Gottsuchenden unterschiedliche Wege an, um die Macht der Täuschungskraft zu überwinden. Der Haushälter wurde durch seinen Weg des Gottdienenden kleiner und kleiner, bis er schließlich so winzig war, dass er zwischen den Pranken des schrecklichen Tigers Maya, der Täuschungskraft, die ihn in ihren Klauen gefangen hielt, hindurchschlüpfen konnte. Durch das Verlieren seines Ego wurde er frei. Für den Mönch brachen die Fesseln der Maya, die ihn gebunden hatte, entzwei, als er durch die Begrenzungen seines Ego brach, indem er in der Überzeugung aufging: „Überall ist allein Gott. All dies ist Gott. Auch ich bin Gott. Ich bin Gott.“ Durch ihre tiefe Liebe zu Gott war jeder von beiden auf seinem eigenen Weg in der Lage, die Macht der Illusion zu überwinden.

Ich bin Gott

Wenn ihr in euch ständig die heilige und erhabene Vorstellung „Ich bin Gott“ hegt, kann euch nichts mehr erschüttern. Nichts kann euch mehr den Weg versperren. Es genügt natürlich nicht, lediglich diese Worte auszusprechen. Ihr müsst zuerst euer Körperbewusstsein überwinden und eine starke Kontrolle über die Sinne gewinnen. Gleichzeitig müsst ihr eine intensive Liebe zu Gott entwickeln und sie leben, indem ihr euch kontinuierlich mit dem Göttlichen identifiziert. Dies wird euch zur höchsten Weisheit führen. Oder ihr könnt eure Liebe zu Gott ausdrücken, indem ihr dem Weg des Dienens folgt. Er wird den Egoismus rasch aus eurem Herzen entfernen und euch mit Seligkeit erfüllen.

Es gibt drei aufeinanderfolgende Stufen auf dem Weg der Gotterkenntnis. Anfangs verkündet ihr: „Ich bin ein Diener des Herrn.“ Hier gibt es zwei Wesenheiten: eine ist Gott und die andere seid ihr. Ihr stellt euch Gott irgendwo weit entfernt vor, und euer Ansatz ist, dass ihr ihn ausfindig machen, ihm näher kommen und sehr nah sein wollt. Allmählich schreitet ihr auf diesem Weg voran und zur rechten Zeit werdet ihr den Herrn von Angesicht zu Angesicht schauen. Dann sagt ihr ihm: „Herr, ich gehöre dir.“ Auf dieser zweiten Stufe steht ihr aufrecht vor dem Herrn und bezeichnet euch selbst als Gotthingegebenen. Auf der dritten Stufe könnt ihr dann behaupten: „Du und ich sind eins.“

Die erste Stufe, die durch die Erklärung „Ich bin ein Diener des Herrn“ gekennzeichnet ist und auf der Gott als weit entfernte Form betrachtet wird, ist Dualität (dvaita). Die zweite Stufe, auf der ihr von Angesicht zu Angesicht zu Gott sagt: „Ich bin Dein Verehrer“, und ihn in eurem Herzen fühlt, ist die Stufe der bedingten Nichtdualität (vishishtaadvaita). Die dritte Stufe, auf der die letztendliche Wahrheit in euch dämmert und ihr zu Gott sagt: „Ich bin du und du bist ich“, ist Nichtdualität (advaita). An diesem Punkt gibt es keinen Unterschied zwischen euch und Gott.

Von der Form zum Formlosen

Ihr beginnt eure Reise auf der Stufe der Dualität und gelangt schließlich zur Stufe der Nichtdualität (advaita). Ihr beginnt eure spirituellen Übungen (saadhana) mit der üblichen Art von Hingabe – dem Verehren Gottes mit einer Gestalt und Eigenschaften durch Rituale und äußere Anbetung. Aber dann bewegt ihr euch zum Formlosen weiter, zum absoluten Aspekt des Göttlichen. Auf diesem Weg entwickelt ihr euch anfänglich spirituell, indem ihr ein Diener Gottes seid, aber irgendwann identifiziert ihr euch ganz mit dem Herrn.

Stellt euch für einen Augenblick einen sehr großen Kreis vor und daneben, von ihm getrennt, einen weiteren, sehr viel kleineren Kreis. Der große Kreis steht für Gott und der kleine für die Einzelseele (jeeva). In diesem Beispiel ist das Individuum verschieden und fern von Gott. Das ist Dualität (dvaita). Wenn ihr nun den kleinen Kreis in den großen hineinbewegt, habt ihr die begrenzte Nichtdualität (vishishtaadvaita). Das Individuum ist nun ein Teil Gottes geworden, es existiert in Gott. Was bedeutet es dann, wenn sich das Individuum total mit dem Göttlichen vereint? Der kleine Kreis muss ausgedehnt und immer größer werden, bis er die volle Größe des großen Kreises angenommen hat. Ab diesem Punkt sind die beiden Kreise ununterscheidbar und hat sich der Mensch mit Gott vereint. Das ist vollständige Nichtdualität (advaita).

Gebt euch dem Göttlichen in euch hin

Auf dem Weg der Hingabe ist es die absolute Ergebenheit, die bewirkt, dass die Einzelseele sich ausdehnt und mit Gott einswird. Das geschieht, sobald ihr eure begrenzte Individualität verlasst, indem ihr euch dem Göttlichen hingebt, das in euch wohnt, sodass all eure Schwächen von euch abfallen und ihr die Geistesgröße entwickelt, die schließlich im Einswerden mit Gott gipfelt. Wie könnt ihr dieses Verständnis eurer göttlichen Natur erlangen? Wie erkennt ihr das Göttliche in euch, sodass ihr seinen Anweisungen folgen könnt? Nur durch stetiges Üben (abhyaasayoga) erlangt ihr diese Erkenntnis.

Selbst für die kleinsten Fertigkeiten dieser Welt müsst ihr ständig üben, sei es Lesen, Schreiben, Gehen oder Essen. Sie alle entwickeln sich allein durch Übung. Ihr fangt mit einem ersten Schritt an und tut irgendwann einen letzten. In diesem Fall bedeutet der letzte Schritt das Erreichen des höchsten Wissens, das euch frei macht.

Es gibt zwei Arten von Wissen. Das eine bezieht sich auf das spirituelle Wissen, das andere auf die physische Welt. Gewöhnliches Wissen, das sich mit den Dingen der Welt befasst, betrifft das Untersuchen der verschiedenen Eigenarten materieller Gegenstände. Aber das Verstehen des inneren Prinzips, der zugrunde liegenden Ursache und des Zwecks jedes materiellen Gegenstandes, der jemals in der Welt existiert hat, ist spirituelles Wissen. Das ist es, was Weisheit genannt werden kann. Dies ist eine sehr wichtige Eigenschaft, die es zu kultivieren gilt. Selbst für das Verstehen der Welt in ihren tieferliegenden Aspekten müsst ihr euch zuerst spirituelle Weisheit aneignen.

Für das Erlangen spiritueller Weisheit müsst ihr euren Körper weise nutzen und euren Geist und eure Sinne unter Kontrolle halten. Ohne den Körper kann man keine Handlung ausführen. Er wird für alle möglichen Arten von Tätigkeiten benötigt, er ist die Grundlage für alle Handlungen. Benutzt euren Körper dazu, euer Ziel zu erreichen und Tätigkeiten auszuführen, die anderen dienlich sind. Hier ist ein kleines Beispiel.

Wünsche in Weisheit verwandeln

Nehmt einmal an, ihr geht zu einem Picknick in den Wald und habt alles mitgebracht, was ihr zum Kochen und Zubereiten des Essens braucht. Bevor ihr mit der Zubereitung der Speisen beginnt, sammelt ihr drei Steine, legt sie zusammen und stellt die Kochtöpfe darauf. Als Nächstes füllt ihr Wasser in den Topf und anschließend den Reis. Unter dem Topf, zwischen den Steinen, macht ihr Feuer.

Wozu braucht ihr Feuer unter dem Topf? Damit ihr durch die Hitze des Feuers den Reis kochen könnt, der sich im Topf befindet. Wenn ihr den Reis einfach ohne Topf ins Feuer gäbet, würdet ihr nicht das Essen bekommen, das ihr wollt. Die Hitze des Feuers überträgt sich auf den Topf, vom Topf aufs Wasser und schließlich vom Wasser auf den Reis. Auf diese Weise wird der Reis gekocht und ihr genießt euer Essen.

In diesem Wald des Lebens sucht ihr nach Glückseligkeit, die mit den Speisen, die ihr zubereitet, verglichen werden kann. Die drei Steine sind die Grundeigenschaften Trägheit (tamas), Aktivität (rajas) und Reinheit (sattva), die allen natürlichen Phänomenen und menschlichen Aktivitäten zugrunde liegen. Euer Körper könnte mit dem Kochtopf verglichen werden, eure Gefühle und Wünsche mit dem Wasser und eure spirituellen Sehnsüchte und Hoffnungen mit dem Reis. Das Feuer, das ihr zwischen den drei Steinen angezündet habt, ist die reinigende Übung (saadhana) für das Erlangen von Weisheit. Dieses reinigende Feuer, das eine Zeitlang brennen muss, muss an den Körper gelegt werden und durch den Körper an die Gefühle und Wünsche. Dadurch werden diese ihrerseits gekocht und in die höchsten spirituellen Sehnsüchte verwandelt. Dieser Vorgang führt schließlich zum gekochten Produkt, der spirituellen Speise, dem Erkennen des wahren Selbst (aatmajnaana).

Es ist unmöglich, solch ein spirituelles Wissen sofort und unmittelbar im Herzen zu erfahren, wenn ihr nicht vorher durch diesen Kochvorgang gegangen seid. Durch den Körper und eure guten Taten müsst ihr eure Wünsche verbrennen und in Sehnsucht nach geistigen Zielen verwandeln. Das wird euch zur Erkenntnis der höchsten Weisheit führen.

Das Aufgeben der Früchte eurer Arbeit

Die richtige Meditationsübung ist die allmähliche, langsame und beständige Kontrolle aller Wünsche durch das kontinuierliche Praktizieren der Liebe zu Gott. Durch das Kontrollieren der Sinne und eurer Wünsche wird es euch möglich, all eure Aktivitäten auf ganz natürliche und selbstverständliche Art auszuführen, ohne die Ernte einer Frucht eurer Arbeit zu erwarten. Tatsächlich ist es unmöglich, Arbeit ohne Früchte zu haben. Jede Handlung, die ihr ausführt, wird notwendigerweise irgendeine Wirkung zur Folge haben – das ist die Frucht der Tat. Es ist also nicht so, dass es gar keine Früchte gibt. Die Gita lehrt euch jedoch, dass ihr an den Früchten nicht interessiert sein solltet. Die Früchte werden immer da sein, aber arbeitet nicht zu dem Zweck, sie zu erlangen! Arbeitet nur, weil ihr es als eure Pflicht betrachtet, zu arbeiten – weil es Gottes Wille ist.

Während ihr eure Pflichten erfüllt, werden zuweilen Wünsche in euch hochkommen und sich auch Ergebnisse, also Früchte eurer Arbeit, zeigen. Das schadet nicht. Erfüllt einfach weiter eure Pflichten. Die Gita hat nicht gelehrt, dass Taten keine Früchte haben werden. Menschen, die nicht richtig verstanden haben, was „Opfern der Früchte des Handelns“ bedeutet, geben das Handeln an sich auf. Doch Tätigkeit muss sein. Was die Gita betont, ist das Entsagen im Handeln und nicht das Entsagen des Handelns. Bis das Essen gekocht ist, wird Feuer benötigt. Bis ihr das innere Geheimnis der Arbeit und des Opferns der Früchte versteht, müsst ihr fortfahren, euch in Tätigkeiten zu engagieren und eure Pflichten zu erfüllen.

Liebe ist die Wurzel aller spirituellen Praktiken

Ein edler Charakter und ein gutes Benehmen künden von der inneren Wahrheit eines Menschen. Diese Wahrheit basiert auf Liebe. Ob ihr euch mit dem Opfern der Früchte eures Handelns (karmayoga) beschäftigt, über den allgegenwärtigen Herrn kontempliert (bhaktiyoga) oder euer Inneres erforscht und danach strebt, Weisheit zu erlangen (jnaanayoga) – die Wurzel all dieser spirituellen Übungen ist Liebe. Es gibt fünf wesentliche menschliche Werte, die einen edlen Menschen auszeichnen. Diese sind Wahrheit (satya), Frieden (shaanti), Liebe (prema), Rechtschaffenheit (dharma) und Gewaltlosigkeit (ahimsaa). Sie existieren jedoch nicht getrennt voneinander. Sie hängen alle essenziell von einem dieser fünf Werte ab, welcher der primäre Wert ist. Das ist Liebe.

Wenn Liebe in die Gedanken eintritt, wird sie zu Wahrheit. Wenn sich Liebe in Form von Tätigkeit manifestiert, wird sie zu Rechtschaffenheit. Wenn eure Gefühle mit Liebe gesättigt sind, werdet ihr selbst zum Frieden. Die wahre Bedeutung des Wortes „Frieden“ ist Liebe. Wenn ihr euer Verstehen mit Liebe erfüllt, ist es Gewaltlosigkeit. Für all diese edlen menschlichen Werte ist es Liebe, die unter ihnen strömt.

Mit anderen Worten: Wenn ihr all eure Gedanken mit Liebe nährt, seid ihr in Liebe versunken. Wenn ihr Liebe in eurem täglichen Leben praktiziert, ist es Dharma – rechtschaffenes Leben. Wenn ihr die ganze Zeit Liebe fühlt, habt ihr euch in dauerhaftem Frieden niedergelassen, und wenn ihr ein tiefes Verstehen des göttlichen Prinzips der Liebe habt, seid ihr in Gewaltlosigkeit versunken. In der Gita heißt es im Kapitel über Hingabe: „Fülle dich an mit Liebe und benutze diese Liebe, um Mich zu erreichen. Auf diese Weise wirst du Meine Nähe (englisch: nearness) und Zuneigung (dearness) gleichermaßen erlangen.“